'Vom Raum zum Ort'
Ein Interview mit Andreas Oldörp




Das Gespräch führte Wolf Jahn im Dezember 2001


Herr Oldörp, Ihre Werke klingen, tönen, brummen oder wie auch immer Sie es nennen wollen. Fällt Ihre Arbeit damit in jenes Feld, das allgemein als "Klangkunst" bezeichnet wird?
Sie wird ihm zumindestens zugerechnet. Ich bin mit diesem Begriff allerdings nicht sehr glücklich.
Seiner Wortbedeutung nach beschreibt er, was Musik seit jeher leistet - den gestaltenden, schöpferischen Umgang mit Klang. Und auch wenn man den Wortanteil 'Kunst' als Bildende Kunst versteht, bedeutet die Verbindung mit 'Klang' eher eine Übergewichtung dieses 'besonderen'- das will sagen: bisher eher ungebräuchlichen - Materials, die in den meisten meiner Arbeiten so nicht besteht.

Was wäre Ihr Begriff für Ihr Werk?
Da durch die begriffliche Zuordnung eine besondere Gewichtung unvermeidbar ist, würde ich sie mehr auf den architektonischen Raum lenken: auf die Qualität des 'Hier und Jetzt', die ausdrückliche Verbundenheit meiner Setzungen mit ihrem Entstehungsort; auf die Unmöglichkeit ihrer 'Verpflanzung'. Installationskunst nennt man das wohl am Besten.

Raum, weil die Arbeiten einen Raum erzeugen oder weil sie auf einen ausgesuchten
Raum reagieren?

Ich gehe bei meiner Arbeit von gegebenem Raum aus, den ich als 'Gesprächspartner' bei der Entwicklung meiner Konzepte erlebe. Das umfasst nicht allein seine architektonischen Eckdaten, sondern auch seine Materialqualitäten. Sehr wichtig ist mir seine Eigenschaft, Spuren von Geschichte, kurzum Zeit abzubilden. Aber auch Licht, Temperatur und besonders die mit dem Raum verbundenen Nutzungsgewohnheiten, seine aktuelle oder auch historische Funktion versuche ich erst einmal zu verstehen. In einem nächsten Schritt bemühe ich mich dann aus diesen Räumen eine zusätzliche Dimension herauszuarbeiten, sie ästhetisch zu verdichten, zu transformieren. Ich habe diesen Prozess 1998 als Titel für eine Installation mit den Räumen der Stadtgalerie in Backnang mit den Worten 'Vom Raum zum Ort' zu beschreiben versucht.

Transformierung von Raum zu Ort - Wo sehen Sie da den essentiellen Unterschied?
Ein Raum birgt zahlreiche Möglichkeiten in sich, ist vielfältig nutzbar, steht zur Verfügung. Seine mögliche "Besetzung" ist zwar naheliegend, aber noch nicht real. Der Ort hingegen ist bereits fokussiert, auf einen Punkt gebracht.

Könnten Sie das näher erläutern, vielleicht anhand eines konkreten Beispiels?
Mir ist dieses Begriffsverständnis wichtig, weil es unmittelbar nachvollziehbar sein sollte. Wir reden von Denk-Räumen, Bewegungs-Räumen, Auf-Räumen und verweisen damit auf (entstehende) Frei-Räume. Dem gegenüber steht der von mir gerne und andauernd strapazierte Begriff der Ver-Ort-ung, der eine konkrete persönliche Bezugnahme beschreibt, zum 'Ort der Handlung', dem Tat-Ort.

Dieser Ort, um den es da vorrangig geht, ist bei Ihnen ein akustischer Ort...
...nur bedingt, weil er nicht von seinen haptisch-visuellen Dimensionen abzutrennen ist. Aber vielleicht sollte ich doch noch deutlicher formulieren, warum ich so auf den Ortsbezug der ästhetischen Wahrnehmung bestehe. Zum einen bestreite ich einfach, dass es eine andere als ganzheitliche Wahrnehmung geben kann. Selbst wenn das Bild sich allein über das Auge vermittelt, die Musik über das Ohr, stehen diese Wahrnehmungsapparate doch nur exponiert in einem weiterhin umfassenden Kontext. Die Frage ist für mich jetzt nur, ob ich diese Tatsache ernst- und annehme und wie weitgehend ich ihn zur Grundlage meiner künstlerischen Arbeit mache. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass mir 'Wirkung' alleine nicht ausreicht. Ich bemühe mich um 'Wirksamkeit', muss mich also sehr weit der Situation 'meiner Kundschaft' vergewissern, um das verantwortungsvoll tun zu können. Ich muss möglichst weitgehende Überschneidungen zwischen meinem und ihrem Erleben herstellen, und da schafft der Raum eine ganz offensichtliche und starke gemeinsame Plattform. Das ist so neu aber nicht. Der Sehnsucht nach umfassender Wirksamkeit verdankt sich ja auch die Tradition des Gesamtkunstwerkes.

Einige Ihrer Arbeiten sind in traditionell sakralen Räumen realisiert worden, z. B. in St.Petri in Lübeck. Aber auch wenn der Raum eher profaner Natur ist, werden Ihre Installationen hin und wieder als sakral empfunden. Stört Sie die Assoziation des "Sakralen"?
Irritiert hat sie mich zunächst; vielleicht, weil sich auch für mich in meinen Arbeiten Situationen ereignet haben, deren extreme Intensität mich überraschte und die im positiven Sinne an Religiöses erinnerte. Natürlich kann man auf meine Installationen sehr unterschiedlich reagieren. Fast militante Provoziertheit habe ich genauso erlebt, wie ich sehr dichtes Darin-Sein beobachten konnte. Gerade dieses 'Darin-Sein' hat mir aber klar gemacht, dass der Begriff 'sakral' ganz allgemein eine Situation des 'Zusammentreffens mit sich selbst' beschreibt.

Was bedeutet das genau, dieses "Zusammentreffen mit sich selbst"?
Zwiesprache mit sich selbst. Nein, vielleicht ist es treffender zu sagen, mit dem 'Ich jenseits des Selbstbewußtseins'.

Das was wir als "Selbst" oder als "Ich" bezeichnen, hat tiefgreifende Erschütterungen erfahren. Wir sehen es heute eher als eine kulturell bedingte Konstruktion an als eine natürliche Gegebenheit.
Das ist im Kontext des Gemeinten ganz irrelevant. Mich interessiert nicht, ob das Selbst real oder imaginär ist, als Fakt oder als Fiktion angesehen wird. Wichtig ist, dass da etwas spricht, antwortet - oder schlicht als Gegenüber erlebt wird.

Kommen wir auf unsere Eingangsfrage und die Frage nach dem Klang zurück. Wieso überhaupt Klang? Welche Rolle spielt er bei der Transformierung von Raum zu Ort?
Darüber, wie ich zum Klang als skulptural zu bearbeitenden Material gefunden habe - und das ist nicht mit wenigen Worten gesagt - habe ich an anderer Stelle ausführlich geredet*. Ich möchte mich darum hier auf einige für mich grundlegende Aspekte beschränken. Wie stark der akustische Anteil unserer Lebenswelt auf uns wirkt, ist leicht zu bemerken, wenn wir unsere Ohren (so weit möglich) verschliessen. Wie gross seine 'realitätsstiftende' Kraft ist, läßt sich ebenso leicht beobachten, wenn man dem Fernseher den Ton abdreht. In beiden Fällen entsteht ein Gefühl des 'Sich-Entfernens'. Wie aus einem U-Boot heraus gesehen erscheint dann die Welt. Erstaunlicherweise kann das Sichtbare allein das Empfinden von Unmittelbarkeit kaum hinreichend herstellen.
Andererseits illustrieren alltägliche 'Handy-Performances' eindruckvoll, wie umfassend der konzentriert Hörende in eine 'andere Realität' eintritt. Die befindlichkeitsverändernden Möglichkeiten der Musik sind allgemein bekannt. Das 'Getragensein' durch akustische Stimulation wird in tiefer Stille, schalltoten Räumen geradezu angsteinflössend vermisst. Mir scheint, dass unsere akustische Wahrnehmung den bestimmenden Anteil an unserer - nicht nur physischen - Selbstvergewisserung hat. Liegt es da nicht sogar nahe, sich auch als Bildender Künstler an diesem machtvollen Material auszuprobieren?
Während meines Studiums erschien es mir allerdings notwendig, Klängen Dauer zu verleihen, um sie skulptural verstehen und bearbeiten zu können. In dieser gewissermassen statischen Gestalt wird aber auch besonders deutlich, dass Klang reine unmittelbare Energie ist - vergleichbar mit Licht und Wärme - die in Teilaspekten nicht nur über das Ohr, sondern vom ganzen Körper erfahren werden kann.

Der Klang in Ihren Arbeiten ist selten homophon, ändert sich vielmehr mit der Bewegung des Körpers im Raum.
Selbst wenn ich nur eine Klangquelle setze, wie zum Beispiel in Eutin im Zentrum eines Wasserturmes mit dem 'grossen Weiss', versuche ich einen Klang herzustellen, der sich unter den raumakustischen Bedingungen gewissermassen 'aufspaltet'. Fast wie Licht in einem Prisma - obwohl diese Analogie nicht ganz stimmt. Dem permanenten Klingen nachgehend, lässt sich dann eine erstaunliche Beobachtung machen: dass sich nämlich die charakteristische Färbung eines Klanges der Vermischung von einem Grundton mit verschiedensten seiner Obertönen verdankt, die hier durch die Architektur freigesetzt werden und zum Teil eigenständig erfahrbar sind. Bei der Orgel ist das Umgekehrte im Mixtur-Register sehr schön anschaulich. Da klingen drei oder vier Pfeifen beim Drücken einer Taste miteinander und erzeugen diese besondere komplexe, aber homogene Klangqualität.
In meinen Installationen entstehen akustische Architekturen, komplexe Klangstrukturen, deren Vielfalt nicht offensichtlich ist und also in der Bewegung erfahren werden muss. Sie entstehen, indem ich versuche, 'in die Klänge hinein zu kommen' - was nebenbei gesagt auch durch die gezielte Zusammenführung bestimmter Klänge gefördert werden kann.

Wie reagiert Ihr Publikum auf Ihre Installationen?
Es hat Besucher gegeben, die gefragt haben, wo denn die Ausstellung überhaupt sei. Trotzdem lege ich meistens Wert darauf, dass der visuelle Anteil sehr zurückgenommen bleibt. Ich halte ihn für notwendig, um eine Art Orientierungshilfe zu bieten während der Einstiegs- oder 'Initiations'-phase. Denn ich erwarte ja wirklich viel von den Besuchern, wenn ich zur Voraussetzung für 'geglücktes' ästhetisches Erleben eine allgemeine Verlangsamung oder ein mit 'den Ohren sehen' erwarte. Der Prozess der Umorientierung vom Außen auf ein Innen braucht Zeit und einen Weg. Und den beschreibe ich mit der Setzung meiner Klangquellen. Bei entsprechender Prädisposition wird dann fast ganz von allein das Gehen zum Wandeln und das Hören zum Horchen. Und dann - aber erst dann - kann der visuelle Anteil ganz zurücktreten, vergleichbar mit dem vorher nur als Hintergrund vage wahrgenommenen Klingen.

Welche Rolle spielt eigentlich der Besucher/Zuhörer? Er muss ja aktiv werden, d.h. wandeln, will er etwas zu Ohren bekommen?
Welche Rolle spielt der Rezipient heute in der Kunst überhaupt, frage ich mich immer wieder. Welche will er noch spielen? - Richtig, "er muss ja aktiv werden...". Aber in welcher Weise tut bzw. kann er das noch?
Es scheint ein vorherrschendes Bedürfnis zu sein, 'unterhalten' zu werden, eine eher passive Haltung einzunehmen, der bereits vielfach in künstlerischer Produktion entsprochen wird. Ich erwarte täglich eine Schau zeitgenössischer Werke mit dem Titel "Wir wünschen Ihnen gute Unterhaltung", und das ganz ernst gemeint.
Aber mir scheint, Sie zielen mit ihrer Frage auf etwas anderes. Meine Entscheidung, mit meinen Installationen Prozesse zu initiieren und Bewegung notwendig zu machen, hängt eng mit meinem Kunstverständnis zusammen. Ich versuche, mit meinen Arbeiten eine Stufe zu erreichen, auf der ich - außer als Autor im Sinne einer Rückbindung und Relativierung - keine Rolle spiele. Eine Installation, ein Ort muss 'einfach richtig' sein, eigenständig und stimmig, um für Besucher - aber auch für mich - als 'Instrument' im Sinne von Werkzeug zu funktionieren, das heißt nutzbar zu sein. Wird es nicht genutzt, bleibt es lediglich Potential und als solches nicht wirklich ergründbar. Die Idee oder das Bild eines Hammers geben ja auch nicht (oder nur sehr indirekt) die Erfahrung wieder, die dessen Auftreffen auf meinem Daumen bewirkt. Aber der Vergleich mit einem Hammer führt in eine viel zu direkt instrumentelle Richtung, denn meine Klänge sind nicht bedeutungstiftend, sie sind ausdrücklich wertfrei.

Wertfrei inwiefern? Gibt es nicht Hörgewohnheiten, die auch in Ihre Arbeiten mit hinein spielen?
Wertfrei meint, dass es keine Bedeutung, keine Erzählung, keine Dramaturgie gibt.

Aber ist es nicht umgekehrt möglich: dass der Betrachter sehr wohl Bedeutungen heraus hört, allein dadurch, dass er unterschiedliche Positionen einnimmt und dadurch so etwas wie eine eigene Handlung, eine eigene Zeit, einen eigenen Verlauf konstruiert?
Ja, das ist, was im Kopf entsteht und da spielen natürlich auch Hörgewohnheiten eine Rolle. Sie sind aber auf den individuellen, den persönlichen Raum beschränkt, der dem Rezipienten zutiefst zueigen ist. Wenn Sie so wollen, ist das 'Ich' angekommen in seinem 'Hier und Jetzt', und das erfreulicherweise mit Konsequenzen, die für den Nebenmenschen keinen Maßstab bedeuten können. Erlauben Sie meinerseits eine Frage: Gibt es Räume außerhalb der Kunst, mit vergleichbarem Potential?

Ausgewiesene vielleicht nicht. Aber die Kunst braucht stets Räume, die auch klar machen, dass zwischen ihren Wänden Kunst passiert. Wenn das Publikum nicht weiss, dass es auf Kunst trifft, liegt die Gefahr nahe, sie zu übersehen oder zu überhören.
Das stimmt für die überwiegende Zahl der Fälle, und besonders wenn betont werden muss, dass ein Kunstwerk doch 'konstruktiv irritieren' möchte. Irritation, Verblüfftheit, Staunen oder auch Ratlosigkeit sind aber in jedem lebendigen Zusammenhang Voraussetzung für Veränderungen. Was 'Kunst-Orte' vielleicht zusätzlich bieten können, sind Schutzräume, Orte ästhetischer Wahrnehmung in denen die 'Logik des Alltags' nicht unmittelbar greift, Räume, in denen man sich zwar ernsthaft, aber nicht in letzter Konsequenz aufs Spiel setzt. Gerade diese Qualität will ich aber auch in andere Zusammenhänge einbringen.

Bei Ihrer Außenarbeit "Über den Teichen" im Rothaar-Gebirge gibt es tatsächlich keinen Kunsthinweis. Die Klänge streichen einfach durch die Landschaft und der Spaziergänger ist gefordert, sich selbst seinen Reim darauf zu machen.
Da muss es das Vehikel des Kunst-Schutzraumes nicht geben. Das Flanieren um die Teiche dort, das Spazieren im Wald als Grundgestimmtheit reicht aus, um mit der zusätzlichen Qualität auch ästhetisch handlungsfähig zu sein.

Liegt da die Gefahr nicht nahe, dass etwas in das eine Ohr rein geht und aus dem anderen wieder raus?
Ich kann zwar jeden Menschen gut verstehen, der mit klugem Herzen auf die Welt sehend ungeduldig oder nervös wird. Trotzdem macht künstlerisches Arbeiten heute nur Sinn, wenn es seinen Rezipienten eine konstruktive Grundhaltung zur Welt unterstellt und auf ihr Mitwirken vertraut.


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