Helga de la Motte-Haber
Im Raum der Klänge -
Die Installationen von Andreas Oldörp
... Das, was die Musik verzeitlicht, nämlich dadurch, dass sie permanent neue Klangereignisse herstellt, mache ich eben räumlich. Das ist der skulpturale Umgang mit Klang, dass an jedem Ort
im Raum verschiedene Klangereignisse präsent sind, aber du durch deine Bewegung das wieder verzeitlichst, indem du dem eine Folge gibst. Das Schöne daran ist, gegenüber der von mir so genannten "autoritären" Struktur der Musik, dass du dem deine eigene Zeit gibt. Wenn du bei einem Klang länger bleiben möchtest, gehst du dahin, gehst wieder zurück, kannst dich also ganz selbstbestimmt darin bewegen. Und wenn du auf das Hören umschaltest wirst du von alleine langsamer und leiser, weil du dich ja nicht stören willst durch dein Rumlatschen und dann kommst du immer mehr in diese Klangwelt rein, es macht dein Ohr immer weiter auf. Das sind die akustischen Architekturen, die ich aufbaue ....
Andreas Oldörp nähert sich dem Klang von Seiten der Bildenden Kunst als einem immateriell erscheinenden und doch stofflich-plastisch formbaren Rohmaterial, dessen Eigenschaften wie Dichte, Masse, Volumen, Farbigkeit, Energie, Wärme oder Griffigkeit die künstlerische Faktur seiner akustischen Architekturen mitbestimmen. Seine Klänge sind weder technisch bearbeitet noch technisch produziert. Sie werden natürlich erzeugt. Klang und Klangproduktion stehen in einem engen Wechselverhältnis.
Oldörp verhält sich widerständig zu den Bestrebungen, Klangkunst in Medienkunst zu überführen. Oldörp geht nicht davon aus, dass Klänge völlig beherrschbar geworden sind, wie die akustischen Produktions- und Reproduktionstechniken suggerieren. Klänge bergen Momente des Unberechenbaren, ihre Glätte oder Rauigkeit bestimmt das Endergebnis. Darin ist Oldörp vergleichbar einem Plastiker, der mit Holz oder Metall arbeitet und sich von der Maserung bzw. dem Glanz seines Materials inspirieren lässt. Hand- und Kopfarbeit bestimmen gemeinsam die gestalterische Produktion. Angesicht der Sekundärerfahrungen der allgegenwärtigen Medienkunst - wie immer auch sie der künstlerischen Reflexion bedarf - will Oldörp Primärerfahrungen vermitteln, die Menschen ihre je eigenen Erlebnisräume erschließen können.
Die Installationen von Oldörp sind zum Sehen und Hören gedacht. Klänge anonymer Herkunft aus Lautsprechern wären für ihn undenkbar. Aber die gleichzeitige Präsenz von Schall und Schallquelle bedeutet keine strenge Koordination. Auch im Alltag sehen wir nicht genau das, was wir hören und wir hören nicht genau dasselbe, das wir sehen. Die Sinnesorgane sind vielmehr durch komplexe Integrationsleistungen aufeinander bezogen. Oldörp irritiert zusätzlich die dabei wirksamen Automatismen. Ein feines stetiges Klangewebe, in dem die Obertöne Eigenständigkeit gewinnen, wird durch die mit Luft angeblasenen Orgelpfeifen erzeugt. Es füllt den ganzen Raum in Überlagerungen oder läuft eine Wand entlang. Seine Herkunft ist nicht oder nur sehr schwer zu lokalisieren. Wird das Tönen durch den episodisch der Abkühlung unterworfenen Wasserdampf erzeugt, dann wandert ein unregelmäßiges Gewisper oder Geschwätz durch den ganzen Raum. Auch Oldörps singende Flammen erzeugen ortlose Klänge, die unvermutet, weit entfernt von der Schallquelle im Raum auftauchen können. Wellenberge und Täler, die in den Resonanzen und Interferenzen entstehen, erlauben dem Besucher akustische Wanderungen.
In der Wissenschaft wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem Probleme der Zeit untersucht, künstlerische Arbeiten hingegen intensivierten die Frage nach der Wahr-
nehmung des Raumes. Musiker setzten ihre Töne nicht mehr nur in das metrisch-zeitliche Raster der Partitur sondern platzierten sie durch verschiedene Instrumentengruppen an verschiedenen Orten des Konzertsaals. Bildende Künstler schufen klingende Objekte, die ihre Begrenzung auflösten oder sie installierten Schallquellen in Ecken, an Säulen, in Landschaften, die dem jeweiligen Ort nicht nur einen Ereignischarakter verliehen sondern durch artifizielle Klanggehäuse die Raumstruktur überlagerten.
Andreas Oldörp unterschied bei seinen Arbeiten zunächst zwei Raumformen, aus denen er in jüngerer Zeit eine dritte entwickelte. Hier sei zunächst vom geschlossenen Raum gesprochen.
Innenräume klingend zu gestalten, heißt für Oldörp, sie zum einen durch Schallquellen optisch zu akzentuieren, wie dies ein Maler mit Farbe tun könnte oder ein Kunstliebhaber mit Bildern und anderem Schmuck. Auf der akustischen Ebene jedoch vermitteln seine Räume, gefüllt mit dynamischen Klanggeweben oder durchzogen von Klangnetzen, - verschieden von ihrer visuellen Ansicht - Eindrücke der Weite oder Nähe. Der statische Charakter des Raumes wird im Klang aufgelöst. Raum prägt sich als Prozeß der Überlagerung von akustischen und optischen Eindrücken aus, wandelbar im Verhältnis zur Position des Betrachters. Oldörp macht bewusst, dass Raum als Ganzes etwas Unerkennbar-Abstraktes ist, das wir nur in wandelnder Gestalt von einem Blick- oder Hörpunkt aus erfahren können. Einflüsse von außen spielen dabei eine Rolle. Denn die Klänge verändern sich selbsttätig je nachdem welche Wetterbedingungen herrschen, wieviele Besucher vorhanden sind, ob die Luft kalt, warm, feucht oder trocken ist. Oldörps akustische Planungen werden zu generierenden Systemen.
Die von Oldörp strukturierten Hörräume wollen keine Musik sein, sondern mindestens dreidimensionale Eindrücke vermitteln, die nicht mit dem Gesehenen zusammenfallen. Die Wahrnehmung, auf die wir Raum im Alltag zurechtrücken, wird durch die überlagerung visueller und akustischer Informationen aufgelöst. Die Komplexität des Raumes, die begrifflich nicht zureichend zu fassen ist, deutet sich an in der Integration von Volumen-, und Entfernungsschätzungen, dem Erlebnis des eigenen Standorts, der Helligkeit, den Resonanzen oder den Wärmezonen. Deutlich wird, Raumerfahrung resultiert aus dem Zusammenspiel von haptischem, kinästhetischem, akustischem und optischem Sinn.
Eine zweite Form von Raumkonstruktionen findet sich bei den Gestaltungen in Parks oder Landschaften. Die Klangquellen füllen nicht einen ganzen Raum sondern schaffen um sich herum einen Ort, oder begrenzen einen Teil einer Wegstrecke. Dieses Prinzip hatte Oldörp bereits früher vereinzelt in Innenräumen, jedoch in letzter Zeit bewusster angewendet. Zierliche Kleinmöbel, ein altes Nachtschränkchen, ein kleiner schrägbeiniger Tisch werden skulptural umgewandelt; durch Orgelpfeifen mit geschickt verstecktem Gebläse gewinnen sie eine tönende Ausdehnung und eine neue Atmosphäre.
Seit mehr als 110 Jahren sind Bildhauer um eine dimensionale Unabgeschlossenheit ihrer Werke und den dadurch ermöglichten Einbezug des Rezipienten bemüht. Umberto Boccioni versuchte seinen Skulpturen eine solche Ausstrahlung zu verleihen, dass sich ihnen der Betrachter nicht entziehen kann, weil sie Galerien mit ihrer Atmosphäre füllen. In der Nachfolge von Auguste Rodin wurden Skulpturen ohne Sockel in Augenhöhe des Betrachters konzipiert, als wären sie dessen Ansprechpartner. Eduardo Chillida konzipierte seine Plastiken so, dass ihre Vibrationen wie Musik im Raum spürbar werden sollen, dessen Leere erst zusammen mit der Plastik die eigentliche Gestalt ergibt.
Andreas Oldörps Installationen setzen diesen Gedanken fort. Am deutlichsten repräsentieren ihn die in sich nicht nur metaphorisch sondern tatsächlich vibrierenden Klanginstallationen. Sie dynamisieren den Raum und sie setzen die strukturierende Teilhabe des darin eingehüllt umherwandernden Rezipienten geradezu voraus. Man kann das Werk von Andreas Oldörp in dieser auf aktive Beteiligung des Rezipienten zielenden Tradition verstehen. Sein Weg dahin war jedoch ein Umweg.
Dies lässt sich an einer frühen Arbeit von Oldörp, die er selten erwähnt und auch nicht in sein Werkverzeichnis aufgenommen hat, ablesen. Ummantelt von einer durchsichtigen Plastikröhre hatte sich der Künstler selbst ausgestellt, umgeben von Schweineaugen, die ihn anstarrten. Man kann diese Arbeit als ein Beispiel von Aktionskunst auffassen, die auf Kritik am Kunstbetrieb zielte, in dem in erster Linie der Künstler vertreten durch seinen Namen verkauft wird. Aber es handelt sich auch um ein Beispiel dafür, dass in den 1970er und 1980er Jahren Künstler sich selbst in ihrer Körperlichkeit thematisierten. Formen der Theatralisierung griffen auf die Bildende Kunst über. Den Raum einer Ausstellung beanspruchte der Künstler als Bühne für sich. Diese kurze, aber geschichtsträchtige Bewegung hatte für die Installationskunst eine große Bedeutung. Denn mehr und mehr machte sich ein Unbehagen daran breit, sich selbst im Raum der Kunst zum Gegenstand zu machen, die Künstler überließen stattdessen diesen Raum partiell dem Publikum.
Dieser Umweg über die Aktionskunst zu einer neuen Auffassung von skulpturaler Gestaltungen ist vor allem typisch für Künstler, die sich der Ausformung von Räumen durch Klang zuwandten. Möglicherweise legte ihre Auseinandersetzung mit performativen Akten den bewegten, mit dem Publikum agierenden Klang als Material nahe.
Mit der partiellen überantwortung des Kunstraumes an das Publikum änderte sich die Vorstellung vom schöpferischen Subjekt. Mit der Preisgabe der strikten Gegenüberstellung von ästhetischem Objekt und Rezipient waren Imagination und Kreativität nicht zweitrangig geworden, aber sie wurden zu Konstruktionsbedingungen für ein Kunstereignis, das erst der Rezipient vervollkommnet. Keine ausdrucksstarke oder ausdrucksgesättigte Form trat dem Betrachter gegenüber, die eine ideale Realität repräsentierte. Stattdessen wurden Formen des Zeigens auf die Realität geschaffen, die sich einer artifiziellen Präsentation bedienten, um Voraussetzungen zu schaffen für eine explorative Haltung des Publikums, dem sich seinerseits aber, verunsichert, weil seines gewohnten festen Standorts außerhalb der Kunst beraubt, nicht nur kunstimmanente sondern auch anthropologische und selbstreferentielle Fragen aufdrängten.
Andreas Oldörp spricht des öfteren bei seinen Arbeiten von gestimmten Räumen. Verweise sind damit angesprochen auf das Stimmen von Musikinstrumenten, aber auch solche auf Stimmungen, die bei dem im spektral irisierenden Klangewebe Umhergehenden nachdenklich-meditative Befindlichkeiten auslösen oder in den punktuell wispernden Klangnetzen zum überraschten Innehalten von Gedanken führen können. Hier ist nicht mehr ausschließlich gescheites Räsonieren über Kunst gefragt, sondern das Erleben der Position des eigenen Selbst, - eine Introspektion, die keiner Mitteilung bedarf, vielleicht überhaupt nicht mitteilbar ist.